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RMZ Jour fixe/ Wörter zählen: Der Einsatz von Plagiatssoftware bei wissenschaftlichen Journals.

Felicitas Heßelmann
  • When Apr 19, 2023 from 11:00
  • Where RMZ, Schönhauser Allee 10-11, Room 4.35
  • iCal

Im wissenschaftlichen Publikationswesen ist der Einsatz von Software zum Screening von Manuskripten auf problematische Textübernahmen, oft als „Plagiatsscanner" bezeichnet, mittlerweile weit verbreitet. Dabei prüfen diese Programme eingereichte Artikel häufig automatisch und bewerten sie mit diversen Scores, Indizes oder prozentualen Metriken. Auf diese Weise können sie einen erheblichen Einfluss darauf entfalten, was als Plagiat definiert, erkannt und möglicherweise sanktioniert wird, und haben damit potenziell normsetzende Wirkung auf Formen des wissenschaftlichen Schreibens. Gleichzeitig funktionieren derartige Programme als entscheidungsunterstützende Systeme, die selbst keine automatisierten Entscheidungen treffen, sondern deren Ergebnisse von menschlichen Benutzenden, z.B. Editors und anderen, herangezogen werden können, um Publikationsentscheidungen zu treffen. Wie diese Interaktion zwischen menschlichen und algorithmischen Akteuren jedoch abläuft, auf welche Weise hier menschliche Akteure auf automatisiert erzeugte Bewertungen zurückgreifen, und welchen Einfluss auf Publikationsentscheidungen die Software damit wirklich entfaltet, ist bisher jedoch weitgehend unbekannt. 

Diesen Fragen widmet sich der Vortrag anhand von digitalen Beobachtungen der Arbeit von Journal Editors mit Plagiatssoftware. Dabei werden zwei verschiedene Interaktionsweisen herausgearbeitet, die sich entlang unterschiedlicher Interfaces entfalten: ein stark schematischer Rückgriff auf automatisiert erzeugte quantitative Indizes einerseits und ein kritisch-rekonstruktiver Umgang mit Ergebnissen der Software andererseits. Insbesondere durch die zweite Interaktionsweise zeigt sich, dass die Software die Einzelfallentscheidungen nur in sehr eingeschränktem Maße bestimmt. Dennoch lassen sich strukturierende Effekte des Softwareeinsatzes beobachten, indem die Software die Plagiatserkennung überhaupt erst als Problem etabliert, mit dem sich Editors auseinandersetzen müssen, und indem sie Plagiate generell als stark quantitatives Konzept wörtlicher Übernahme definiert, wodurch andere Konzepte wie z.B. Ideenklau in den Hintergrund geraten. Damit ist der Effekt des Softwareeinsatzes weniger auf der Ebene der einzelnen Bewertungen zu sehen, sondern besteht stärker in der Etablierung eines generellen Verfahrens, durch das einzelne Bewertungen erzeugt werden.